Nicola Vösgen

Antiken: Dornauszieher


Das Modell des Dornauszieher im Kunstgussmuseum

 

Im Kunstgussmuseum befindet sich das 34,5cm große Gipsmodell des sog. Dornausziehers, der häufig auch in der italienischen Übersetzung als Spinario bezeichnet wird. Dargestellt ist ein auf einem Felsblock sitzender, unbekleideter Knabe, der versucht einen in die linke Fußsohle eingetretenen Dorn zu entfernen. Von dem mehrteiligen Gussmodell sind die beiden Arme verloren, das linke Bein ist als separates Gussteil erhalten.

 

Abb. 1: Modell des Dornausziehers im Kunstgussmuseum
(Foto: Tino Winkelmann, KGML, 2018)

 


In einem Verzeichnis der 1784 bis 1825 ausgeführten Arbeiten der Gießerei Lauchhammer ist der Dornauszieher nicht erwähnt, ebenso wenig in dem frühesten Katalog der Gießerei aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Es ist also nicht bekannt, wann diese Figur in das Lauchhammer-Sortiment aufgenommen wurde. In den Lauchhammer Bildguss-Katalogen von 1928 bis 1938 wurde der Dornauszieher in der Größe 34cm angeboten.

 


Abb. 2: Der Dornauszieher im Lauchhammer Bildguss-Katalog 1933
(Foto: Lauchhammer Bildguss 1933, Gs20, S. 84)

Es liegen keinerlei Informationen über die Verkaufszahlen vor. Im Kunsthandel sind keine Lauchhammer-Güsse des Spinario nachweisbar.

 


Das antike Vorbild

 

Die Statue des Dornausziehers ist in mehreren Kopien überliefert, die berühmteste ist der sogenannte „Kapitolinische Dornauszieher“. Diese 73cm große Bronze gehört zu den ganz wenigen antiken Statuen, die niemals in der Erde vergraben waren. Darauf weist z.B. seine ausführliche Erwähnung in einer Handschrift „Über die Wunderdinge der Stadt Rom“ aus dem 12. Jahrhundert hin. Papst Sixtus IV. vermachte die Statue 1471 der Stadt Rom, seitdem befindet sie sich im Konservatorenpalast in Rom.

Die realistische Formensprache des Hirtenjungen entspricht der Darstellung von einfachen Hirten und Landleuten, die im 3. Jahrhundert in Griechenland aufkam. Auch die geschlossene, von rechten Winkeln bestimmte Komposition der Figur sowie die Abkehr von nur einer Ansichtsseite sind typisch für diese Phase.
Der „Kapitolinische Dornauszieher“ ist eine Kopie des (verlorenen) griechischen Originals.
Bemerkenswert ist der Kontrast des naturalistisch gearbeiteten Körpers und der streng gestalteten Frisur, deren fein frisierte Locken nicht der geneigten Kopfhaltung folgen. Aus diesem Grund wird vermutet, dass der Dornauszieher eine späthellenistische Kopie aus dem 1. Jh. v.Chr. ist, die jedoch mit einem Kopf der Klassischen Periode im frühen 5. Jh.v.Chr. kombiniert wurde.

 

 


Abb. 3: Der Dornauszieher im Konservatorenpalast in Rom
(Foto: Jean-Pol GRANDMONT, CC BY-SA 3.0, 2011)

Im Mittelalter wurde der Dorn, der „Stachel im Fleisch“, als Symbol der Erbsünde uminterpretiert und das Motiv des Dornausziehers wurde mit dem vom rechten Weg abgekommenen Sünder gleichgesetzt. In dieser Auslegung ist der Spinario vielfach an Kapitellen, Fassaden, Stadttoren und auf Grabmälern dargestellt worden.

In der Renaissance gehörte der Dornauszieher zu einer der ersten antiken Skulpturen in Rom, die 1550 für eine fürstliche Sammlung abgeformt wurden. Im 18. und 19. Jahrhundert nahm die Bedeutung von Kopien antiker Statuen zu, da es als Beleg für Bildung und Antikenbegeisterung galt, sich mit den als vorbildlich geltenden Kunstwerken der Antike zu umgeben – der Dornauszieher zählte in dieser Zeit zu den beliebtesten antiken Motiven überhaupt.