Paul Erich Oehme: Reh


Paul Erich Oehme wurde am 8. August 1889 in Berthelsdorf bei Freiberg geboren. Im Alter von 16 Jahren ging er nach Dresden, um dort Kurse an der Kunstgewerbeschule zu besuchen, sowie Unterricht in der Bildhauerei zu nehmen. Seine Studien führten ihn auch nach Berlin und Italien. 1911 bis 1912 arbeitete er für die Porzellanmanufaktur Nymphenburg, für welche auch seine Brüder Hugo und Arthur tätig waren. 1912 wechselte Oehme an die Porzellanmanufaktur Meißen, studierte parallel weiterhin Anatomie und war Meisterschüler an der Kunstakademie Dresden. Von 1936 bis 1944 war er künstlerischer Leiter der Abteilung Gestaltung der Porzellanmanufaktur Meißen. Als Mitglied der SA beteiligte er sich 1942 an der Kunstausstellung der SA in Dresden. Oehme arbeitete ab 1948 für den VVB Keramik Erfurt. Seine Entwürfe wurden auch in Lichte und Volkstedt aus Porzellan produziert. Oehme ist für seine Tierskulpturen für den Tierpark Berlin bekannt. Für die Kunstgießerei Lauchhammer entwarf er mehrere Reliefteller mit Tiermotiven und kleinere Tierplastiken, die seriell gefertigt wurden. Oehme starb am 23. Oktober 1970 in Meißen.


Tierplastik Reh

Noch vor dem Studium der Bildhauerei bei Selmar Werner widmete sich Paul Erich Oehme intensiv dem Studium der Anatomie der Tiere bei Wilhelm Ellenberger an der Tierärztlichen Hochschule in Dresden. Diese Zeit muss für seinen künstlerischen Werdegang wegweisend gewesen sein. Bis heute sind seine expressiven Tierplastiken im Tierpark Berlin herausragend.

Reh am Wolschinkateich; Foto: Wolfgang Miertzsch 2009

Im Park am Wolschinkateich stand etwa seit 1963 unter einer hohen Fichte nahe am Teich und neben einem Weg das „Reh“ von Erich Oehme. Der naturnahe kleine Park wurde mit der liebenswerten Darstellung eines einheimischen Tieres bereichert und sicherlich hat sich mancher Spaziergänger daran erfreut. Das „Reh“ wurde 1962 von Oehme modelliert. Künstlersignatur, Jahreszahl und Ort waren auf der Plinthe gut sichtbar eingeschrieben. Damit reiht sich die Plastik in die Schaffensphase der großen Tierfiguren für den Tierpark Berlin ein. Die Plinthe hatte einen rechteckigen Grundriss und darunter befand sich ein Sockel aus einer Schicht gelblicher Keramikklinker. Der Sockel machte einen eher improvisierten Eindruck oder es war kein geeigneteres Material zu bekommen.

Das weibliche Reh, eine starke Ricke mittleren Alters, ist aufmerksam sichernd mit aufgestellten Lauschern und den Betrachter direkt anblickend dargestellt. Das Tier scheint überrascht zu sein, dennoch ruhig. Es ist in seiner Bewegung kurz erstarrt, um bei Gefahr sofort abzuspringen. Oehme hat diesen kurzen Moment des Verharrens eingefangen, den aufmerksame Tierbeobachter gut kennen werden. Rehe sind äußerst vorsichtige, scheue Tiere, welche jede fremde Erscheinung oder Bewegung mit Flucht quittieren. Der Bildhauer beweist hier nicht nur sein großes Können in der anatomisch richtigen Darstellung eines Tieres, vielmehr begreift und zeigt er auch die besondere Charakteristik, das Wesen des Tieres. Ein Reh will nichts weiter als da sein, es ist eine stilles Tier, immer auf der Hut – mit allen Sinnen.

Detail: Haupt des Rehs; Foto: Wolfgang Miertzsch

Nachdem der Künstler 1970 verstarb, wurde in einem Brief der Witwe an die Kunstgießerei ein vorgesehener Guss eines „Rehs“ in Bronze für den Tierpark Berlin erwähnt, welcher bis zum Jahresende verschoben werden musste. Da das Reh am Wolschinkateich seit 1963 gestanden hat, müsste es sich um einen weiteren Abguss für den Tierpark Berlin handeln? In diesem Fall würden mindestens zwei Abgüsse gemacht worden sein oder es handelt sich um ein anderes Modell. Es ist nicht bestätigt, ob ein zweiter Abguss im Tierpark Berlin existiert oder existierte.

Leider fiel die Plastik in Lauchhammer Vandalismus zum Opfer. Ein in den Rücken des Rehs geschnittenes Loch wurde als Mülleimer missbraucht. Nach 2012 wurde der Körper von der Plinhte abgetrennt und gestohlen. Plinthe und Sockel verblieben noch einige Zeit an ihrem Standort, wurden dann aber entfernt. Die Plinthe soll noch einige Zeit auf dem Gelände des Bauhofes gewesen sein, ist aber dort nicht mehr auffindbar. Lauchhammer ist um ein wertvolles Werk eines bekannten Künstlers ärmer. Der Schaden ist vermutlich nicht ersetzbar.

Signatur Erich Oehme Meissen 1962; Foto: Wolfgang Miertzsch


Kuratorin Antje Bräuer